Tobias Christl Lieblingsband

 

 

TOBIAS CHRISTL – Verschmelzung

Man könnte ja auch einfach ein paar Lieder singen, schöne, klare Melodien in Dur und Moll, Texte mit Liebe und Herzschmerz, so etwas. Könnte man machen, wäre praktisch, quadratisch, bewährt, ersparte manche Mühe. Man könnte benutzen, was so herum liegt an Melodie und Harmonie, an Texten, an Klischees. So wie alle. Fast alle. Doch mancher kann das nicht ertragen, zu abgenutzt, zu hohl, zu flach.

Tobias Christl ist offenbar einer, der es nicht ertragen kann. Christl, geboren 1978, musikalisch gereift in Würzburg, Nürnberg, Köln, Weimar und New York, also eigentlich überall, ist ein Vokalist, mehr noch ein Vortragskünstler als ein Sänger. Obwohl er der auch ist, variabel und wandlungsfähig, sicher in den vielfältigen Farben seiner Stimme, zwischen Schnurren und Kreischen, romantischem Schwelgen und heruntergedimmtem Vortrag. Mit seinem Popprojekt „Herbe Sahne“ gehörte er zu den Finalisten von Udo Lindenbergs Panikpreis und konnte zudem einen German Video Award gewinnen. Musikalisch macht das musikalische Multitalent, das neben seiner Stimme auch Keyboards, Gitarre und Klarinette beherrscht, alles selbst: er schreibt seine eigenen Kompositionen, seine eigenen Texte, seine eigenen Lieder. Ohne daraus eine große Geschichte zu machen, schreibt er ganz bewusst in Deutsch, in der Sprache, die er gut genug beherrscht, um sich mit einer brüsken Wendung, einem kleinen Nebensatz, der Falle namens Sinn zu entziehen. Dada ist eine Assoziation, die Lyrik des 20. Jahrhunderts mit ihren Brüchen und Brechungen, natürlich auch das Songwriting der Besseren unter den Songwritern: Stop Making Sense. Dann wischt er mit seinem Gesang jede Frage nach dem Textverständnis einfach wieder weg und singt, wortlos, nur ein weiteres Instrument im Klanggefüge, schließlich ist alles nur: Musik.

Tobias Christl mit seiner – durchaus programmatisch so genannten – „Lieblingsband“: mit Pablo Held, dem Pianisten, mit Robert Landfermann und Jonas Burgwinkel, Bass und Schlagzeug, dem Midas-Team des aktuellen deutschen Jazz, dem alles zu Gold wird, was es spielt, dazu Tobias Hoffmann, der Gitarrist und der Saxofonist Niels Klein: in anderen Worten das Kölner Musikerkollektiv KLAENG, das seit einigen Jahren daran arbeitet, seine improvisierte Musik, seinen Jazz, an den eigenen Haaren aus der Abgeschiedenheit der Nische zu ziehen, und damit beachtliche Erfolge erzielt.

Zum Beispiel: „Verschmelzung“, Tobias Christls neue CD. Ein Kaleidoskop an Klängen, schillernd, immer in Bewegung – und nie so einfach einzuordnen. Hier der fast schon klassische Einstieg in „Begabter Bausatz“, ein Crescendo wie von himmlischen Geigen, das sich bald darauf in ein Pastiche getüpfelter Akkordtöne auflöst, die zwischendurch eine rockige Farbe annehmen, die wiederum postwendend verbleicht. Das minimalistische Muster von „Zeit“, das sich zu einem treibenden Groove aufschwingt, dazu Christls Gesang, leicht und luftig, bis er in einer Wolke von Feedback verschwindet. Und weiter geht es – nichts ist sicher, alles erlaubt: verästelte Harmonien, eine Collage von gläsernen Sounds, der sich aufbauscht, zum Scherbenhaufen anwächst, der Sänger als Erzähler, die Melodie auf eine Tonhöhe reduziert. Dann wieder weite Sprünge durch den tonalen Raum, furiose Steigerungen, die sich in die lässige Kühle eines Solos auf der Bassklarinette auflösen, die überdrehte Spielfreude in der Improvisation.

Da sind Songs, ja, da sind klare Melodien, einfache Strukturen, manchmal, das entscheidet sich von Fall zu Fall. Da sind Texte, erwachsene, aber nicht eingerostete Texte, Texte, die sich mit dem Sprechen verbünden, die von der Suche erzählen, von der Verzweiflung, wenn man die Lippen nicht findet, nicht die echten Momente, nicht Sinnlichkeit und Sinn. Und wenn sie sich doch einstellen, nicht die echte Sprache für diese Momente. Was bleibt ist Bewegung, Veränderung. Jeder einzelne Song sucht und findet seine eigene Gestalt, das macht den großen Unterschied und hat große Folgen.

 

 

Tobias Christl Stimme, Effekte

Pablo Held Klavier

Tobias Hoffmann Gitarre, Effekte

Niels Klein Saxophon, Bassklarinette, Effekte

Robert Landfermann Kontrabass

Jonas Burgwinkel Schlagzeug